Unterschichten

First published at Saturday 21 October 2006

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Unterschichten

In den Medien fand in den letzten Wochen eine Diskussion ueber die neuen Unterschichten statt. Verwunderung machte sich breit, dass es doch tatsaechlich Leute gibt, die es nicht schaffen Arbeit zu finden, und wie man es in Zukunft schafft diese Menschen wieder zum Arbeiten zu bewegen.

Ich finde es erstaunlich, dass ein Fakt in nahezu allen Medien und Diskussionen ignoriert wird.

  • Es gibt nicht genuegend Arbeit fuer alle potentiellen Arbeitnehmer in Deutschland.

  • Es gibt kaum noch Arbeitsstellen mehr fuer Menschen, die nicht ueber eine "vernueftige" Ausbildung verfuegen.

  • Und vor allem: Es wird nie wieder Vollbeschaeftigung geben, aus den zwei vorher genanten Gruenden. Vor einem halben Jahrhundert, in einer weniger technologisierten Welt, gab es noch den Fahrstuhlfuehrer, den Fliessbandarbeiter und den Strassenfeger. All das gibt es heute kaum noch, und wird es erst recht nicht mehr geben, wenn ein weiteres halbes Jahrhundert vergangen ist. Fliessbandarbeiten werden von Bandrobotern uebernommen. Jede Stadt besitzt und verwendet Fahrzeuge um die Strassen sauber zu halten und jeder Deutsche (ueberschlagen) ist mitlerweile an Aufzuege gewoehnt und braucht hier keine Hilfestellungen mehr.

Wie wird sich das in der naechsten Zeit entwickeln? Werden die Berufe zurueckkommen? Sicher nicht. Es gibt weder Grund noch Tendenz dazu.

Was macht jemand, der nur, oder nicht einmal, ueber einen Hauptschulabschluss verfuegt? Das kann kein Vorwurf sein, sonder ist das Resultat unseres unausgeglichenen Bildungssystemes, das immer noch nicht ansatzweise Chancengleichheit sicherstellt - aber das ist ein anderes Thema.

Diese Personen koennen natuerlich weiterhin vom Staat durch Beschaeftigungstherapie ruhiggestellt werden - nennt sich euphemistisch Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, oder 1-Euro-Jobs. Auf der einen Seite ist es natuerlich angenehm, als Nicht-Betroffener, dadurch staendig gepflegte Parks und mit der Zahnbuerste gesaeuberte Gehsteige vorzufinden - aber auf der anderen Seite ist genau das eine Einteilung in Unter- und Oberschicht, ueber die sich so lauthals beschwerrt wird.

Die Produktivitaet pro Arbeitnehmer steigt staendig an, und es ist offensichtlich, dass wir mit einer erheblich kleineren Anzahl Beschaeftigter mehr Personen versorgen koennen als noch vor 50 Jahren. Wird sich das aendern? Nein, sicher nicht.

Was sind die Konsequenzen daraus?

Besser ist die Frage: Was sollten die Konsequenen daraus seien? Es ist ja offensichtlich, dass keine Konsequenzen daraus gezogen werden, da diese Fakten nicht einmal ins breite Bewusstsein gefunden haben, obwohl niemand etwas davon verneinen wird.

Wenn die Gesellschaft keine produktive Verwendung fuer Menschen mit einem niedrigen Bildungsstand hat, wie soll sie dann mit denen umgehen? Ausgliedern in Ghettos, Arbeitslosigkeit und mit dem Geld abspeisen, das diese mindestens zum Leben benoetigen? OK, das tut sie im Moment mit dem Kommentar, dass es in den Haenden dieser Menschen selbst liegt sich aus der Situation zu befreien - ist das human? Meiner Ansicht nach absolut nicht. Besonders, da die Moeglichkeit sich aus eigenem Engagement aus der Situation zu befreien diesen Menschen genommen werden. Ein Studium, oder ein nachzumachendes Abitur kosten zu viel Geld - Bildung ist schliesslich nicht mehr kostenlos zu haben.

Wenn man Menschen ohne Arbeit und abgeschlossener Ausbildung die Chance geben wuerde zu studieren, wuerde es neue Akademiker geben? Ich denke ja, wenn es auch nicht Millionen sein wuerden. Aber es waere zumindest ein Sinn und Ziel.

Der Einsatz in Arbeitsbeschaffungsmassnahmen befreit die Menschen nicht aus ihrer Situation - es dient dem temporaeren Verdraengen und der Vortaeuschung es gaebe noch Arbeit fuer diese Menschen.

Eine humane Konsequenz kann meiner Ansicht nach nur sein:

  • Durch bessere, kostenlose und dadurch chancengleichere Ausbildung dafuer sorgen, dass der Anteil an Akademikern steigt.

  • Menschen, denen es nicht moeglich ist einen adaequaten Ausbildungsgrad zu erreichen die Chane geben zu leben, zu lernen, oder einfach Kuenstler zu sein - und sei es Lebenskuenstler. Schockierend - Menschen, die zu faul sind zu arbeiten ruhen sich dann doch auf dem aus, was ich produziere! Das ist unfair!

Das ist die erste und ueblichste Reaktion auf ein solches Gedankenmodell. Und natuerlich wird es diese Menschen geben. Und auch ich kann mir vorstellen mal einen laengeren Urlaub auf Basis dieses Modelles zu nehmen.

Aber: Der Mensch will sich natuerlichweise profilieren - und sei es nur, um bessere Paarungschancen zu erhalten - und das passiert normalerweise durch:

  • Mehr Geld verdienen - und das verneint dieses Modell nicht.

  • Etwas schaffen, was neu ist, und Anderen Respekt einfloest - das verneint dieses Modell erst recht nicht, sondern gibt auch Menschen die Moeglichkeit das zu tun, die im Moment - gezwungen durch den Staat - den Buergersteig mit der Zahnbuerste polieren. Warum arbeitet man noch 50 Stunden in der Woche, wenn auch 20 ausreichen, und damit auch der Nachbar die Moeglichkeit bekommt sein Geld zu verdienen?

Warum wollen so Viele Andere dazu zwingen "Unterschichtenarbeiten" zu erlediegen, nur weil sie in der aktuellen Gesellschaft keine Moeglichkeiten mehr haben entscheidende Leistungen zu vollbringen?

Wie kann man glauben, dass es eine Mehrheit an Menschen gibt, die zufrieden sind nichts zu leisten?

Ich kann es nicht verstehen, und hoffe, dass sich der Gedanke, dass das existierende Modell nicht mehr lange funktionieren wird, auch in einigen anderen Koepfen festsetzt. Sonst haben wir in einigen Jahren eine Arbeitslosenquote von 50%, und spaetestens dann wird es eine Rovolution geben, die zu schlimmeren fuehren wird, als dass ein paar Menschen auf Grund meiner Finanzierung einfach nur Lebenskuenstler sind.

Nicht direkt im Zusammenhang liegend, aber mir stellt sich die Frage, wie eine rein kapitalistische, liberetaere Gesellschaft ein solches Problem auch nur theoretisch loesen koennte.


Comments

sxs at Monday, 4.12. 2006

Das Phnomen der Vollbeschftigugn ist, die gesamte menschheitsgeschichte gesehen, ein extrem kurzzeitiges. Es tauchte mit der Industirndustrialisierung zum ersten Mal auf und ist jetzt im Begriff wieder zu verschwinden. Aus den von Dir erwhnten Grnden. Vor der Industrialisierung war es kaum notwendig permanent zu arbeiten. Im Winter konnten Bauern meistens nichts auf den Feldern tun. Sie verbrachten die Tage damit ihre Hfe in Ordnung zu halten, Reparaturen durchzufhren usw. Zur Erntezeit wurde aber richtig rangeklotzt. Es wurde dann gearbeitet, wenn es was zu tun gab.

Seid der Industrialisierung erfahren wir noch ein weiteres Phnomen: Das der kontinuirlichen Produktivittssteigerung. Wie Du auch bereits erwhntest. Ich finde nur, man sollte den Aspekt etwas nher beleuchten: Was bedeutet Produktivittssteigerung? Im Endeffekt nichts anderes als das einer immer mehr Arbeit erledigen kann. Ein Phnomen das sehr wnschenswert ist. Seid jeher war es ein Bestreben der Menschheit sich das Leben einfacher zu machen. Seid der Industrialisierung hat die Produktivittssteigerung einen exorbitanten Schub bekommen. Wir alle brauchen nicht mehr so viel zu arbeiten um das gleiche zu bekommen. Das ist die positive Seite daran. Die negative ist schlciht und ergreifend: An dieser Produktivittssteigerung ist nicht jeder beteiligt. Wenn eine Firma X fnftausend Personen entlassen kann, weil es die gleiche Arbeitsmenge mit weniger Personen verrichtne kann ,dann ist das etwas positives. Allerdings haben in diesem Fall nur die Aktionre von Firma X etwas davon. Die fnftausend Personen stehen vor eine manderen Problem: Existenzangst!

Ein weiteres Problem an Deiner Idee (Warum 50 Stinden arbeiten, wenn 20 langen wrden?) in unserer Gesellschaft ist, dass man nicht als vollwertig in der Gesellschaft angesehen wird, wenn man keine Vollbeschftigung hat. Ich hab es aus eigener Erfahrung kennengelernt. Direkt nach dem Studium war ich zweieinhalb Monate Arbeitslos. Weil ich es so wollte. Ich hatte etwas Erspartes und wollte mich erst mal von dem ganzne Prfungsstress erholen und in der Zeit einige Dinge die ich fr wichtig erachte lernen. In der Zeit brachte ich mir PHP bei. Aber es gab dann Menschen in meinem Bekanntenkreis die einem bedauert haben, einem gute Ratschlge gaben ("Du mut alles machen, hauptsache nen Job.").

Meines Erachtens wre die bedingungslose Grundsicherung - im brigen schon eine sehr alte Idee - eine gute Alternative zum jetzigen System. Ich glaube kaum dass dies dazu fhren wrde dass dann alle nur noch Faul von der Sttze leben. Die Menschen htten dann nmlich Zeit ihre Kreativitt walten zu lassen anstatt von der permanenten Existenzangst lethargisch gelmt zu sein.

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